Grundprinzipien für das Verfassungsgericht:
- Menschenwürde
- Demokratieprinzip = gleichberechtigte Teilhabe aller Bürger:innen
- Rechtsstaatlichkeit
Im Kern sind nach den bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bei einem Verbotsantrag zwei Voraussetzungen zu prüfen:
A. Stellt die Partei die freiheitlich – demokratische Grundordnung infrage, ist somit verfassungsfeindlich?
B. Hat die Partei die Potentialität, ihre verfassungsfeindlichen Pläne umzusetzen?
Dazu Artikel 21/2 des Grundgesetzes:
„Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich – demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“
Voraussetzung nach Punkt A ist gegeben und wird von keiner Seite (außer der AfD) bestritten.
Voraussetzung nach Punkt B ist ebenfalls gegeben. Die AfD hat die finanziellen und personellen Mittel, ihre Pläne umzusetzen.
Die häufigsten Argumente gegen ein Verbotsverfahren:
- Falls die AfD demnächst im Osten stärkste Partei werden und den Ministerpräsidenten stellen sollte, hätte ein Verbot die Amtsenthebung des MP und den Entzug sämtlicher Parlamentssitze zur Folge. Unruhen und Aufruhr würden drohen, das könne man nicht verantworten.
- Verschärfte Polarisierung, Trotzreaktionen der Wähler:innen.
- Der NPD-Verbotsantrag ist zweimal gescheitert (2003, 2017).
- Die AfD muss mit politisch-demokratischen Mitteln bekämpft werden.
- Ein Verbotsverfahren braucht Zeit. Währenddessen kultiviert die AfD ihre Opfer- und Märtyrerrolle und wirft den übrigen Parteien vor, politisch aufgegeben zu haben.
- Rechte Gesinnung wird nicht durch ein Verbot ausgerottet.
- Eine Partei, die über mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen verfügt, darf man nicht einfach verbieten, sie sei schon zu mächtig.
- Es kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass die AfD versucht, ihre verfassungsfeindlichen Pläne mit aggressiv-kämpferischem Ansatz in die Tat umzusetzen.
Zu 1.: Falls die AfD demnächst im Osten stärkste Partei werden und den Ministerpräsidenten stellen sollte, hätte ein Verbot die Amtsenthebung des MP und den Entzug sämtlicher Parlamentssitze zur Folge. Unruhen und Aufruhr würden drohen, das könne man nicht verantworten.
Gegenfrage: Was passiert, wenn ein Bundesland von der AfD regiert wird? Einen solchen Aufruhr muss unsere noch wehrhafte Demokratie aushalten können. Bei einer mitbestimmenden AfD wird es schon schwieriger. Dieses Angstverhalten bestärkt außerdem die rechten Kräfte in ihrem Vorgehen. Kapitulation aus Angst? Souveränes, selbstbewusstes Auftreten und klare Ansagen sind gefordert: Die AfD ist nicht Opfer, sondern Täter, sie greift die freiheitlich-demokratische Grundordnung an und täuscht ihre Wählerinnen. Und sie wird immer dreister, solange sie auf keine massive Gegenwehr stößt. Im Gegenteil, sie freut sich über die „Schnappatmung“ der politischen Gegnerinnen und darüber, diese mit ihren Themen vor sich hertreiben zu können.
Zu 2.: Verschärfte Polarisierung, Trotzreaktionen der Wähler:innen.
Eine neue Umfrage der BILD (!) Mitte Mai 2025 mit der Frage „Was würden Sie wählen, wenn die AfD verboten würde?“ kam zu folgendem Ergebnis: ein Teil der Befragten würde nicht mehr wählen, die Stimmen der Übrigen würden sich überraschend gleichmäßig auf die anderen Parteien verteilen. Ein Verbot einer Partei muss natürlich detailliert und für jedermann sehr verständlich begründet werden. Davon ist beim Bundesverfassungsgericht auszugehen.
Zu 3.: Der NPD-Verbotsantrag ist zweimal gescheitert (2003, 2017).
Der erste NPD-Verbotsantrag scheiterte wegen eines Verfahrensfehlers: V-Leute des Verfassungsschutzes waren nicht rechtzeitig abgeschaltet worden. Beim zweiten Verbotsantrag wurde die Verfassungsfeindlichkeit der NPD festgestellt. Die Partei wurde wegen ihrer Unbedeutsamkeit = mangelnder Potentialität für die Umsetzung ihrer Pläne nicht verboten. Ihre Nachfolgepartei „Die Heimat“ wurde 2024 für sechs Jahre von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen. Bei der AfD ist die Potentialität erheblich.
Passend zu Punkt 2: Die NPD und ihre Nachfolgepartei haben trotz gescheitertem Verbotsantrag an Bedeutung verloren.
Zu 4.: Die AfD muss mit politisch-demokratischen Mitteln bekämpft werden.
Ein Verbotsverfahren ist ein im Grundgesetz ausdrücklich vorgesehenes rechtsstaatliches politisches Mittel gegen Verfassungsfeinde, keine Alternative zum politischen Diskurs. Beides kann und muss nebeneinander stattfinden.
Die AfD nutzt alle ihre von unserer Demokratie gegebenen Möglichkeiten, eben diese Demokratie auszuhebeln. Im Gegenzug müssen unsere Verfassungsschützer auch alle demokratischen Möglichkeiten nutzen, dies zu verhindern. Dazu gehört – ebenfalls als politisches Mittel – ein Parteiverbotsverfahren anzustrengen. Das Grundgesetz sieht dies ausdrücklich als politischen Akt vor.
Der Antrag auf Prüfung der Verfassungstreue der AfD ist keine Schikane, wie die AfD laut verkündet, sondern ein rechtsstaatlicher Vorgang. Wäre sich die AfD ihrer Rechtsstaatlichkeit und Verfassungstreue sicher, müsste sie sich nicht so lautstark und empört dagegen wehren. Das Verfahren wäre ja in ihrem Sinne. Die vorauseilende Auflösung der rechtsextremistischen Jungen Alternativen ist dagegen ein deutliches Zeichen der Unsicherheit.
Parallel zum Verbotsantrag muss die AfD natürlich politisch bekämpft werden. Aber sie und ihre Anhänger:innen verbreiten gezielt Lügen, Hass und Hetze. Sie verweigern eine sachliche politische Auseinandersetzung und weigern sich, Fakten anzuerkennen. Deshalb sind die Möglichkeiten der politischen Bekämpfung sehr begrenzt. AfD-Politiker:innen wollen die Demokratie zerstören. Sie sind mit allen verfügbaren Mitteln zu bekämpfen. Noch haben wir eine Demokratie, die diese Mittel zur Verfügung stellt.
Verzichtet man auf den Antrag, wird die AfD in ihrer perfiden Methode ermuntert, falsche Erzählungen zu gerieren. Sie wird in bewährter Manier weitermachen.
Zu 5.: Ein Verbotsverfahren braucht Zeit. Währenddessen kultiviert die AfD ihre Opfer- und Märtyrerrolle und wirft den übrigen Parteien vor, politisch aufgegeben zu haben.
Die verantwortlichen Politiker:innen müssen diese Zeit nutzen, um gute Politik zu machen und klare Kante zu zeigen, souverän, mit Stil und Verachtung die widerlichen, aggressiven und haltlosen Anwürfe abprallen und sich nicht von den Parolen beeindrucken und vor sich hertreiben lassen. Das schafft Respekt von allen Seiten und wird auch viele AfD-Wähler:innen beeindrucken und zum Nachdenken bewegen. Dazu gehören Souveränität, Selbstbewusstsein und Mut.
Dieser Mut fehlte den Demokrat:innen der Weimarer Republik. Ein Parteiverbotsverfahren gegen die NSDAP wäre rechtlich möglich gewesen. (Kyrill-Alexander Schwarz, Initiative von Juristen zum Verbot der AfD, DIE ZEIT vom 15.05.2025) Wie schön, würden unsere Entscheidungsträger:innen stattdessen als Retter:innen der Demokratie in die Geschichtsbücher eingehen.
Zu 6.: Rechte Gesinnung wird nicht durch ein Verbot ausgerottet.
Stimmt. Aber auch nicht durch Unterlassung desselben. Das NPD-Urteil hat die Gesinnung auch nicht ausgerottet. Aber die Rechtsextremen haben ihr Sprachrohr verloren, die Partei ihre Finanzmittel, und sie ist in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Denn außer dem „harten Kern“ haben sich offensichtlich die Anhänger:innen für andere Parteien entschieden. Diese Mitläufer:innen, die Unzufriedenen und Protestler, die heute die AfD wählen, zurückzugewinnen, ist Aufgabe unserer Politiker:innen.
Ein Parteienverbot kann dann dazu führen, dass diese sich einer ehrlichen und verantwortlichen Politik widmen können, ohne ihre Ressourcen in Schlammschlachten mit der AfD und deren Schreihälsen zu vergeuden.
Zu 7.: Eine Partei, die über mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen verfügt, darf man nicht einfach verbieten, sie sei schon zu mächtig.
Doch, gerade dann. Sie hat eben wegen ihrer Stärke die Potentialität, ihre undemokratischen Ziele durchzusetzen. Die Ablehnung des NPD-Verbots wurde ja mit mangelnder Potentialität begründet, und „zu mächtig“ ist keine juristische Kategorie.
Sollte die Partei nicht verboten werden und sich nach den nächsten Wahlen die Möglichkeit einer Koalition aus CDU/CSU und AfD eröffnen, ist dies nicht auszuschließen. Äußerungen von Jens Spahn und anderen CDU/CSU-Politiker:innen lassen es befürchten. Eine regierungsbeteiligte oder gar regierende AfD wird als erstes die Verfassungsbehörde abschaffen. Die Konsequenzen werden dann auch die AfD-Wähler:innen spüren. Aber dann ist es zu spät.
Zu 8.: Es kann nicht eindeutig nachgewiesen werden, dass die AfD versucht, ihre verfassungsfeindlichen Pläne mit aggressiv-kämpferischem Ansatz in die Tat umzusetzen.
Muss es auch nicht. Das Argument hält sich hartnäckig in Aussagen mancher Politiker*innen und vielen Medienartikeln. Es beruht auf der falschen Annahme, dass auch das ein notwendiges Kriterium für ein Parteiverbot darstellt. Dazu ein Auszug aus der Urteilsbegründung des Verfassungsgerichts zum NPD-Verbotsantrag vom 17.01.2017, 2d: (ein Parteiverbot) „… setzt voraus, dass sie“ (die Partei) „sich durch aktives und planvolles Handeln für ihre Ziele einsetzt und auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hinwirkt.“
„Nicht erforderlich“ (für die Begründung eines Parteiverbots) „ ist, dass das Handeln der Partei zu einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21, Abs. 2, Satz 1 des GG führt. Es müssen jedoch konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann. (Potentialität.) Lässt das Handeln einer Partei dagegen noch nicht einmal auf die Möglichkeit des Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot nicht …“ (Auf die NPD traf Letzteres zu, das Verbot wurde lediglich aufgrund der mangelnden Potentialität nicht ausgesprochen.)
Das bedeutet aber im Umkehrschluss: Lässt das Handeln einer Partei auf die Möglichkeit des Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung. Dies trifft auf die AfD zu.
Noch eindeutiger ist die Formulierung im Urteil des BVerfG vom 17.01.2017:
„… Vielmehr wollte er“ (Anm.: der Verfassungsgeber) „dem wehrhaften Verfassungsstaat die Möglichkeit eröffnen, frühzeitig – und ohne strafbares Handeln abwarten zu müssen – tätig zu werden … Ebenso wenig ist es erforderlich, dass sich das der Partei zurechenbare Handeln … als gesetzeswidrig darstellt. Eine Partei kann auch dann verfassungswidrig sein, wenn sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausschließlich mit legalen Mitteln und unter Ausschluss jeglicher Gewaltanwendung verfolgt …“ (Aus: Urteil des BVerfG vom 17. Januar 2017, S155/263, RN 578)
Abschließend noch Auszüge aus einem Artikel in der ZEIT vom 15. Mai 2025, einem Nachruf auf Margot Friedländer, von Igor Levit:
„Es wird sich zeigen, wie wehrhaft Deutschland sein wird gegen die Feinde der Demokratie … ob es bloß bei Debatten über den richtigen Umgang mit Faschisten bleibt oder nicht. Faschisten, und dazu gehört die AfD, spielen nach ihren eigenen Regeln. Es wird nicht reichen, sie politisch zu stellen, weil sie keine normale politische Partei sind. Sie wollen den Systemwechsel, sie wollen das Ende der Demokratie … Sie ändern die Regeln, wie es ihnen passt. Die Demokraten sollten den Mut haben, … sie so hart zu bekämpfen, wie sie es verdienen, notfalls per Verbot. Die AfD als normale Partei zu behandeln, wäre ein Sündenfall. Es wäre Verrat an der politischen und moralischen Existenzgrundlage der Bundesrepublik, 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges … Es wird sich zeigen, ob die demokratische Mitte endlich ihre Angst überwindet, ihre Feinde auch als solche zu benennen … ob die demokratische Mitte es schafft, eine Politik zu machen, die eine positive, eine verbindende, eine menschliche Zukunft formuliert … Unsere Demokratie zu verteidigen wird sehr schwer werden. Niemand von uns, der an sie glaubt, kann sich Unaufmerksamkeit leisten. Wir, die an sie glauben, haben die Pflicht, unabhängig von Herkunft oder Beruf unser gemeinsames demokratisches Haus mit allen zivilisatorischen Mitteln zu schützen und zu stärken.“