Die AfD – unvereinbar mit der christlichen Ethik

Von: Prof. Dr. Franz Segbers, Universität Marburg
Ort: ACK, Pauluskirche Konstanz, 18. März, 19:30 Uhr

Unsere Gesellschaft durchlebt turbulente Zeiten. Die Stimmung ist aufgewühlt und die Gesellschaft polarisiert. Rechtspopulistische und rechtsradikale Vorstellungen gewinnen immer mehr Zuspruch. Unverhohlen wird darüber fabuliert, Menschen mit Migrationshintergrund aus dem Land zu drängen. Und gleichzeitig nimmt die Zunahme von rechtsextrem motivierten Gewalttaten gegen Muslime, Migranten und Juden und Jüdinnen in erschreckendem Ausmaße zu.

Nie zuvor haben sich die beiden großen Kirchen in Deutschland so deutlich gegen den Rechtsextremismus und die AfD als seine parlamentarische Vertretung ausgesprochen: Nachdem die EKD-Synode sich bereits im November klar positioniert hatte, sind Ende Februar die katholischen Bischöfe mit einer vielbeachteten wünschenswert klaren Abgrenzung zur AfD an die Öffentlichkeit getreten. In der Erklärung vom 22. Februar 2024 mit dem Titel „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ warnen die katholischen Bischöfe vor der Wahl der AfD: „Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und sind auch nicht wählbar.“ Auch meine Kirche, die alt-katholische Kirche, hat in einem Synodenwort klar gemacht, „dass völkisches Denken und christlicher Glaube nicht vereinbar sind und wir alle deshalb aufgefordert bleiben, gegen solches menschenverachtendes Denken aufzutreten.“ Heribert Prantl von der SZ nennt das eine „Heilige Brandmauer, die ein Vorbild sein muss“.

In meinen Ausführungen zum Thema „Die AfD – unvereinbar mit der christlichen Ethik“ will ich in einem ersten Schritt über die Rolle von Religion in der rechtsradikalen oder neurechten Szene sprechen. In einem zweiten Schritt möchte ich aufzeigen, was genau die AfD für Christinnen und Christen unwählbar macht. In einem letzten dritten Teil möchte ich einige Konsequenzen aus dieser Analyse ziehen.

  1. Religion und Rechtsradikalismus – kommt zusammen, was nicht zusammengehört?

Der Präsident des Verfassungsschutzes Thomas Haldenwang spricht von einer „neuen Dynamik im Bereich des Rechtsextremismus“ und davon, dass die Grenzen zwischen rechtsextremen, rechtsradikalen und bürgerlichen Milieus verschwimmen. Inzwischen schreckt auch die Einordnung als rechtsextremistisch die Sympathisanten und Wähler nicht mehr ab. Der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer warnte schon vor Jahren vor einer „rohen Bürgerlichkeit“, die in der Mitte der Gesellschaft nicht vor einem „Jargon der Verachtung gegen alles Andere “ zurückschreckt. Das meinte der katholische Bischof von Magdeburg Gerhard Feige in seiner Rede vor etwa 6.000 Menschen als der sagte, dass er „weniger eine Überfremdung von außen als eine Entmenschlichung von innen“ fürchte.

Wenn die Kirche diese „Heilige Brandmauer“ errichten, haben sie nicht nur eine Innen – und Außenunterscheidung im Blick. Denn auch Christinnen und Christen sind keinesfalls per se immun gegen rechtsextreme Einstellungen. In der AfD, die in Teilen vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird, haben sich rechte Christen in einem eigenen Verein organisiert. Er hat zwar nur rund 300 Mitgliedern und spielt innerparteilich keine Rolle, trägt aber nach außen dazu bei, der AFD einen christlichen Anstrich zu geben. Neue Studien belegen: Eine starke religiöse Bindung hat einen „religiösen Impfeffekt gegen den Rechtspopulismus“ gegenüber rechtspopulistischen oder auch rechtsextremistischen Parteien. So wählten etwa bei der Bundestagswahl 2021 14 Prozent der konfessionslosen Deutschen AfD, jedoch nur acht Prozent der Katholiken und neun Prozent der Protestanten. Die AfD schneidet unter Konfessionsungebundenen in ganz Deutschland besser ab als unter Katholiken und Protestanten, egal ob diese in Sachsen, Bayern, Bremen oder Baden-Württemberg wohnen. Ähnliche Dynamiken sind auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten.

Dennoch sind Teile des konservativen Bürgertums, zu dem auch das betont fromme Milieu gehört, anschlussfähig an das Gedankengut der Neuen Rechten. Bei der Suche nach den Gründen für das Erstarken der neurechten Bewegungen wird viel zu wenig die wichtige Rolle in Blick genommen, welche das Christentum für die Neue Rechte spielt. Der Religion kommt bei einer Analyse der neurechten Strömungen in der Gesellschaft eine weithin unterschätzte Schlüsselstellung zu. Bis 9/11 und dem Verbotsverfahren gegen die NPD etwa 2015 war die Grundhaltung der extremrechten Szene eher neuheidnisch und kirchenfeindlich geprägt gewesen. Doch dann kam die Frage auf: „Wo ist in Europa – so fragte Martin Lichmesz, ein bekannte identitärer Rechtsradikaler aus Österreich – ein Glaube, der es mit dem Selbstbewusstsein und Selbstbehauptungswillen des Islams aufnehmen kann?“ Mit den Waffen der Kreuzzüge soll ein Kampf gegen die „Islamisierung“ geführt werden. 2014 rief erstmal Pegida, Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes zu Demonstrationen auf, um das christliche Abendland zu retten. Aber seitdem hat sich eine Verschiebung zu einer sich intellektuell gebenden völkisch-nationalistischen Neuen Rechten vollzogen. Teile der extremen neuen Rechte gibt sich ganz bewusst christlich.

Erstaunt sieht man bei rechten Demonstrationen schwarz-rot-gold lackierte Kreuze oder jemanden, der ein Kreuz mit der Aufschrift trägt „Deus vult“ – Gott will es, der Schlachtruf bei den Kreuzzügen gegen Muslime. Das Christentum wird zu einem kulturalistischen Identitätsmerkmal gegen den Islam.

Vor dem Mailänder Dom versammelten sich am 19. Mai 2019 Rechtspopulisten aus elf EU-Mitgliedsstaaten, um eine neue europäische Sammlungsbewegung aus der Taufe zu heben. Hauptredner der Kundgebung war der damalige italienische Innenminister und Vorsitzende der Lega, Matteo Salvini, der mit einem Rosenkranz in den Händen – sich und alle Anwesenden dem „unbefleckten Herzen“ der Gottesmutter Maria empfahl. Dann gab er den Papst den Pfiffen seiner Fans frei. „Ich sage das auch zu Papst Franziskus, der gerade heute wieder von der Notwendigkeit sprach, die Toten im Mittelmeer zu verhindern. … Die Regierung stellt die Zahl der Toten im Mittelmeer auf null – mit Stolz und christlichem Geist.“ Feindbild Islam und Christentum – das sind zentrale Begriff für eine diffuse Inanspruchnahme der christlichen Religion. In Schnellroda, einem Dorf in Sachsen-Anhalt, leiten Götz Kubitschek und Ellen Kositza einen Think Tank mit der Zeitschrift Sezession, dem Verlag Edition Antaios und dem im Jahr 2000 gegründeten Institut für Staatspolitik. Kubitschek gilt als wichtigster Intellektueller der Neuen Rechten. Er ist eine Art Stichwortgeber und ein Freund des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Der Thinktank Institut wird vom deutschen Verfassungsschutz überwacht, da er „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ verfolgt. Dort bastelt man mit Maximilian Krah an einer Renaissance eines Rechtskatholizismus. „Das deutsche Volk – so nicht ein Deutscher Christ in den 30-er Jahren, sondern Götz Kubitschek – ist eine Schöpfung Gottes, es hat eine besondere Art durch die Geschichte zu gehen, mit allen Höhen und Tiefen.“ Völkische, rassistische, homophobe Thesen werden hier auf christliche Werte zurückgeführt, mit Bibelversen garniert. „Klar ist“, so Kubitschek, „dass jedes Volk auch eine ethnische Größe ist und dass der Verlust dieser relativen Homogenität große Probleme nach sich zieht.“ Gerade die Neue Rechte greife inhaltlich und ideologisch stark auf den katholischen Antimodernismus aus der Zeit zwischen 1850 und 1950 zurück. Die Anschlussfähigkeit des katholischen Antimodernismus zeige sich zum Beispiel bei der Abwertung anderer Religionen, einem ausgeprägten Freund-Feind-Denken, der Forderung nach Konformismus und Unterordnung sowie einer Ablehnung von Demokratie und Menschenrechten.

Die Neue Rechte verstellt sich, um religiös statt rechts zu erscheinen. Sie wildert im Christentum, nimmt christliche Symbole und Werte in Anspruch und versucht so, Teile des konservativen christlichen Milieus anzusprechen. Im kirchenpolitischen Manifest der AfD aus Rheinlandpfalz werden die Kirchen kritisiert, dass sie schweigen zu aus christlicher Sicht fragwürdigen Positionen der übrigen Parteien. „Obwohl diese etwa zu Abtreibung, Gender, Ehe und Familie alles andere als christliche Werte vertreten, ist von einer diesbezüglichen Distanzierung wenig zu hören.“ Die beiden Inhaber des rechten Instituts für Staatspolitik sind nach der Erklärung der Bischöfe aus der katholischen Kirche ausgetreten, die sie einen „gottlosen Verein“(im Kommentar zum Bischofswort) nennt. Dann kann es auch passieren, dass der niedersächsische AfD-Vorsitzende Armin-Paul Hampel wie auf dem Kölner Parteitag 2017 zum Kirchenaustritt aufruft, weil die Kirchen das Christentum nicht mehr vertreten würden. Man versucht, das Christentum für einen Kreuzzug ohne Gott zu kapern. Die selbsternannten Abendlandverteidiger wollen aus dem antirassistischen, internationalistischen Christentum der Nächsten- und sogar der Feindesliebe eine Art weiße Stammesreligion machen.

Das intellektuelle Zentralorgan der neuen Rechten, die „Junge Freiheit“ gibt sich explizit christlich. Im ihrem Leitbild heißt es:

„Die europäische und deutsche Kultur sind mit dem Christentum auch in seiner säkularen Form unauflöslich verwoben. Wir begegnen religiöser Indifferenz durch einen dominierenden, festen christlichen Standpunkt, der im Jahreslauf wiederkehrend einen deutlichen Vorrang erhält.“

Warum ist der Bezug zum Christentum für die neurechte Bewegung so wichtig? In den politischen Auseinandersetzungen bewegen die Menschen immer mehr Fragen der Identität. Was ist damit gemeint? Gefragt, warum sie AfD gewählt haben, antworteten die Wähler und Wählerinnen bei den letzten Landtagswahl in Hessen 2023, dass für sie die Zuwanderungsproblematik mit 52 Prozent wahlentscheidend war, doch drängende soziale Probleme wie Wohnung nur zu 7 Prozent. Wirtschaftliche und soziale Fragen rangieren hingegen offensichtlich auf der Prioritätenliste der rechtspopulistischen Wählerinnen und Wähler eher weit unten. Die AfD hat kein Rentenkonzept, sie ist gegen den Mindestlohn, gegen die Bürgergelderhöhung, gegen sozialen Wohnungsbau. Und doch delegitimiert das die AfD nicht wirklich. Es ist nicht so, dass die Wählerinnen und Wähler sich das Parteiprogramm anschauen und dann die AfD wählen, weil sie deren Thesen überzeugend finden. Es geht vielmehr um einen diffusen Protest, um das Gefühl nicht repräsentiert zu sein, um Verunsicherungen und Hilflosigkeit gegenüber dem Weltgeschehen. Man fühlt sich durch Fremde bedroht und gesellschaftlich marginalisiert und abgehängt, ist misstrauischer gegenüber politischen Institutionen und fühlt sich unterrepräsentiert in einer Kultur und Gesellschaft, die von denen da oben bestimmt und beherrscht wird. Die massive Liberalisierung von Lebensverhältnissen in den letzten Jahrzehnten hat zu einer gesellschaftlichen und kulturellen Pluralisierung geführt und durch die Migration auch zu einer religiösen Pluralisierung. Dadurch fühlen sich rechte Konservative mit ihren Wertvorstellungen marginalisiert und auch moralisch diffamiert.

Zentral ist das Konzept des Ethnopluralismus. Dabei handelt es sich keineswegs um eine liberale „Diversity-Vorstellung“ vom friedlichen Zusammenlebens verschiedener Kulturen und Religionen, sondern um das glatte Gegenteil. So erklärte ein hochrangiger AfD-Politiker zum Beispiel, dass „in der AfD Konsens darüber [herrscht], dass wir, wenn wir ›christlich‹ oder ‚abendländisch‘ sagen, dies in historischer und kultureller Hinsicht und nicht in theologischer Hinsicht meinen. Es geht darum, unsere Kultur gegen andere Zivilisationen und die Bedrohung durch den Islam zu verteidigen.“ Eine AfD-Politikerin hat ihre Erfahrungen als Christin in der Partei wie folgt beschrieben: „Es gibt viele Leute in der AfD, die nach außen hin sagen, dass ihnen das Christentum sehr wichtig ist (…). Für diese Leute ist das Christinnen und Christentum eigentlich eine Religion aus dem Nahen Osten, die nicht nach Deutschland passt.“

In allen christlichen Konfessionen finden sich konservative Christinnen und Christen. Die Scheidelinie verläuft dabei keineswegs entlang der Religions- oder Konfessionsgrenzen, sondern mitten durch jede einzelne Religionsgemeinschaft. Rechtspopulistische und rechtsextreme Haltungen der Gesamtbevölkerung finden sich auch unter Kirchenglieder, also unter ehrenamtlich Engagierten, Kirchenältesten, Pfarrgemeinderäte, Kirchenvorständen, Haupt- und Nebenamtlichen. Nach neueren Untersuchungen ist nicht die Kirchenmitgliedschaft entscheidend, sondern die Form der Religiosität. Personen, die ihre eigene Religion dogmatisch-fundamentalistisch auslegen, sind stärker für rechtsextreme Einstellungen empfänglich. Autoritarismus prägt die Religiosität und politisch rechte Einstellungen von rechten Christinnen und Christen. Zwischen Religion und Rechtsextremismus liegt somit keine direkte Beziehung, aber sehr wohl eine indirekte Beziehung vor.

Joachim Kuhs, Sprecher der Christen in der AfD, Europaabgeordneter aus Baden-Baden, nennt „die AfD für Christen immer noch die erste Wahl“. Fragen wir uns: Wie kommt er zu dieser Einschätzung? Die Überlappungen zwischen den konservativ-religiösen und rechts-populistischen und rechtsextremistischen Themen möchte ich an drei zentralen Aspekten darstellen:

  1. Ordnungstheologie

Es geht um die Bewahrung der überlieferten Lebens- und Wertordnung: Die Wiederherstellung einer gottgegebenen Ordnung ist ein Grundmotiv rechter Christinnen und Christen. So erklärten Ulrich Oehme, katholischer Bundessprecher, und Dr. Michael Adam, Stellvertretender Katholischer Bundessprecher, am 27.2. 2024 zur Position der Bischöfe:

„Die AfD bekennt sich, anders als andere aktuell in Deutschland herrschende Parteien, in ihrem Grundsatzprogramm unzweideutig zu den Kernwerten des Christentums: Dem Lebensschutz, der Ehe von Mann und Frau, dem Schutz der Familie. Wir lehnen die Abkehr von diesen Werten ab und erwarten insbesondere von der Katholischen Kirche, dass sie das versteht und anerkennt. Die AfD ist eine wertkonservative Partei.“

Joachim Kuhs bekräftigte: „Und gerade darum ist und bleibt die AfD für Christen die erste Wahl.“ Lebensschutz, der Ehe von Mann und Frau, dem Schutz der Familie bilden das vermeintliche Scharnier zwischen Kirche und der neuen Rechten. Doch der AfD geht es gerade nicht um den Schutz des ungeborenen Lebens. Die AfD steht für eine zutiefst unchristliche, ethno-nationale Bevölkerungspolitik. Sie tritt zwar für die Unterstützung eines traditionellen Familienbildes und für den Schutz des ungeborenen Lebens ein. Doch sie verfolgt dabei vorrangig bevölkerungspolitischen Absichten: Deutsche sollen zur Familiengründung angeregt, deutsche Familien und Kinder sollen gefördert werden. Eine solche Bevölkerungspolitik ist inhuman und widerspricht dem christlichen Verständnis von Familie im Kern. Auffällig ist zudem, dass die AfD nur den auf das ungeborene Leben fokussierte Lebensschutz betont; der Lebensschutz gilt aber auch in der Flüchtlingsfrage. Es gibt es eine scharfe Frontstellung gegen Gender, Ehe für alle, Homosexuelle. Ihnen wird die Freiheit, sich die eigenen Lebensordnungen zu suchen und zu wählen, abgesprochen wird. Quer durch die programmatischen Positionierungen der Partei zieht sich die Behauptung, die „Gender-Ideologie“ leugne die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau und das Geschlecht sei „nur“ ein soziales Konstrukt. Rechtspopulistische Kreise wie die AfD berufen sich in der Regel auf einen reduktiven Naturbegriff, der biologische Sachverhalte verkürzend oder sogar verfälschend darstellt. Die Genderkritik will Politik mit dem Naturbegriff machen, um eine bestimmte, als „natürlich“ gedachte Ordnung zu bewahren.

  1. Patriotisches Christentum: Heimat statt Globalismus

Rechte Christen eint die Sorge vor der Auflösung der Völkerordnung. Deshalb ist der Ethnopluralismus, der zwar die Existenz unterschiedlicher Kulturen bejaht und gleichzeitig deren strikte Trennung voneinander einfordert, geradezu ein cantus firmus der Neuen Rechten. Argumentiert wird nicht biologisch, sondern kulturell. Ohne semantisch über „Rassen“ reden zu müssen, spricht sich das Konzept für die strikte räumliche Trennung von Völkern und gegen deren Vermischung aus. Ethnopluralismus besagt, dass Nationen und Kulturen „zwar gleichwertig, aber anders“ seien. Es geht um Ausgrenzung und Phantasmen der Vertreibung von Menschen, die nach kulturrassistischen Prinzipien als nicht zugehörig begriffen werden. Ähnlich wie säkulare Rechte, die einen „Bevölkerungsaustausch“ und eine „Islamisierung“ durch zu viele Flüchtlinge aus dem muslimischen Raum herbeifantasieren und immer aggressiver eine „Remigration“ fordern, hegen auch Christen mit Rechtsdrall große Ressentiments gegenüber dem Islam.

Maximilian Krah, katholisch und Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl, überträgt das neurechte Konzept des Ethnopluralismus auf die Religionen:

„Der Islam gehört zu Saudi-Arabien, der Konfuzianismus zu China, der Hinduismus zu Indien, der Buddhismus zu Myanmar, das orthodoxe Christen zu Russland, Und das ist gut so.“

Der Vorstand der Christen in der Alternative für Deutschland e.V. antwortete am 29. Februar 2024 auf die Erklärung der Bischöfe:

„Von der Existenz unterschiedlicher, voneinander getrennter Völker als Abstammungs- und Blutsgemeinschaft, wie Sie das in Frage stellen, geht zunächst einmal der christliche Schöpfergott der Bibel als dessen Schöpfung aus.“

Der Islam gilt den Neurechten als Feind des christlichen Abendlandes. Migration gilt als Verstoß gegen die Schöpfungsordnung.

Ende Januar 2023 führte Maximilian Krah ein freundschaftliches Gespräch mit dem rechtsextremen Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke über „Europa und die Nation“. Das Gespräch ist auf Youtube abrufbar. Die beiden sprechen auch über das Christentum, und Krah macht keinen Hehl aus seiner Verachtung des „Gegenwartschristentums“. Er lehnt den christlichen „Universalismus“ und das christliche „Verständnis von Menschenrechten“ ab, das sei alles Sache der „Globalisten“. Höcke wünscht sich einen Glauben, „der das Heilige des Christentums mit dem Heldentum aus dem Heidentum vereint.“ Höcke bezichtigt das gegenwärtige Christentum der „Selbstaufgabe“. Zwar sagt Krah, er wolle nicht von seinem Katholizismus lassen. Doch indem er zentrale Elemente des christlichen Glaubens kritisiert, nämlich den Universalismus, reduziert er das Christentum auf die Funktion eines rechten Identitätsmarkers.

Die Konzentration auf ein kulturell homogen gedachtes ethnisch-eigenes Volk verengt die gesellschaftliche Solidarität. Rechte Christen denken Solidarität innerhalb eines völkisch-national verstandenen Volkes. Das Volk gilt als Abstammungs- oder gar Blutsgemeinschaft. Wer diesem nicht angehört, soll weniger Rechte und weniger soziale Teilhabe haben, auch wenn er in Deutschland lebt und arbeitet. Wer nicht von Herkunft her Deutscher ist, wird als bloßer „Paßdeutscher“ abgetan. Allen, die nicht der eigenen Blutsgemeinschaft angehören, wird Solidarität verweigert.

Ein völkischer Nationalismus, der das Volk als eine homogene Gemeinschaft von ethnisch und kulturell Gleichen versteht, zerstört die Demokratie an ihrer Wurzel. Denn sie ist vom Gedanken der gleichen Rechte aller bestimmt. Diese vermeintliche Homogenität kann nur auf Kosten der Freiheit der Menschen durchgesetzt werden. Nach dem Gräuel des NS-Regimes versteht das Grundgesetz das Volk aus guten Gründen anders; nämlich als gleichberechtigte Gemeinschaft von Menschen auf der Grundlage von Bürger- und Menschenrechten.

Christliche Ethik vertritt eine universalistische und kosmopolitische Position. Wer Mitglied eines bestimmten Staates ist, hört er in keiner Weise auf, Mitglied der Menschheitsfamilie und Bürger jener universalen Gesellschaft und jener Gemeinschaft aller Menschen zu sein. Der Geschwisterlichkeit aller Menschen aller Kulturen und Religionen hat Papst Franziskus zu einer zentralen Figur in seinem sozialethischen Denken gemacht. Er hat ihr eine eigene Erklärung gewidmet, die er mit dem Großimam Ahmad Al-Tayyeb von Al-Azhar-Universität gemeinsam verfasst hat. Das solidarische Ethos der Nächstenliebe ist nicht bloß Ausdruck einer individualethischen Maxime, sondern hat seine Entsprechung im weltbürgerlichen Rechtsanspruch auf Migration, der gerade angesichts der derzeitigen Stimmungslage bekräftigt werden muss: Jeder Mensch muss das Recht haben, sofern gerechte Gründe dazu raten, in andere Staaten auszuwandern und dort seinen Wohnsitz aufzuschlagen.

Der Schutz der Fremden gehört zu den zentralen ethischen Verpflichtungen in der Religion der Bibel. Dahinter steht die grundlegende Überzeugung, dass alle Menschen, ganz unabhängig von ihrer Herkunft, Religion oder Sprache eine unveräußerliche Würde haben, die zu schützen ist. Von Paulus stammt das Wort, dass „nicht Jude noch Grieche“ gilt. Das zeigt, dass die Kirche von Beginn an immer schon multikulturell war. Sie ist offen für alle Menschen, gleich welcher Abstammung, unabhängig von ihrer Kultur der sozialen Stellung. Für eine christliche Ethik verlieren alle völkischen, rassischen, sozialen und auch die geschlechtsspezifischen Unterschiede an Bedeutung. Deshalb kann Papst Franziskus sagen: „Ich bin Bischof einer Kirche, die keine Grenzen kennt.“

Die Neurechten entkräften das Liebesgebot nicht, sie grenzen es aber auf den Nahbereich ein. Ein klassisches Beispiel ist die Flüchtlingskrise 2015, als Angela Merkel tatsächlich das Motiv der Barmherzigkeit als Motiv des politischen Handelns angesprochen hat. Volker Münz, Mitbegründer der Organisation der Christen in der AfD und Mitglied des Bundestages, nahm 2020 in den USA am evangelikalen National Prayer Breakfast teil, wo er gemeinsam mit US-Präsident Donald Trump betete. Er ist irritiert über die migrationsfreundliche Haltung der Kirchen. Denn Jesus Christus habe von Nächstenliebe gesprochen, nicht aber von Islam- oder Fremdenliebe. Der evangelische Theologe Thomas Wawerka aus Sachsen, der nicht zum Pfarramt zugelassen wurde, windet sich und sagt es so: „Für die Nächsten aus Familie und Volk gilt, sie zu lieben wie sich selbst … Christus fordert nirgends zu einer Jedermannsliebe auf.“ Von Empathie und Nächstenliebe gegenüber Geflüchteten war und ist in den rechtschristlichen Kreisen wenig zu sehen, von Ressentiments dafür umso mehr. Eine Politik, die Fremdenfeindlichkeit schürt, von Angst gegen Überfremdung lebt, einseitig nationale Interessen betont, ein nationalistisches homogenes Kulturverständnis pflegt und bürgerliche und demokratische Grundfreiheiten in Frage stellt, ist mit einer christlichen Ethik unvereinbar.

  1. Wehrhaftes Christentum

Caroline Sommerfeldt hat im Sammelband „Rechtes Christentum? (2018)“ einen Beitrag unter dem Titel „‘Gegen allahu akbar‘ hilft nur ‚deus vult‘ oder: Christen und Identitäre Bewegung“ publiziert. Deus vult – das war der Schlachtruf der Kreuzritter im Kampf gegen die Muslime. Sie sieht eine tribale Auseinandersetzung, einen religiösen Bürgerkrieg des Christentums gegen den Islam. Sie kritisiert, dass die Kirchen längst eine „christliche Unterwerfung unter den Islam“ vollzogen hätten. Ihre These lautet: „Der Dschihad gebiert äquivalente Reconquistaimpulse.“ Reconquista, das ist die Rückeroberung des christlichen Spaniens von den Arabern im 15. Jahrhundert.

Teile der Neurechten wenden sich zunehmend evangelikalen Freikirchen zu. So berichtet der Verfassungsschutzbericht von Baden-Württemberg von 2022 beispielsweise von einer evangelischen Freikirche im Kreis Biberach. Der dortige Prediger nannte Politiker „Unrecht- und Willkürherrschende“, die „von den bösen satanischen Mächten dahinter“ gesteuert würden. Es sei ein „3. Weltkrieg“ im Gange, der von einer „globalen Elite“ geführt werde, die „fast alle Regierungen dieser Erde in der Hand“ habe, „um sie zum Krieg gegen ihre eigenen Völker zu gebrauchen“.1

Sind dies normalkonservative Positionen, die nur in einer polemischen Rhetorik daherkommen oder ist es schon neurechtes Denken? Die Definition, was konservativ ausmacht, ist selber schon politisch. Denn die Neurechten bezeichnen sich bewusst als konservativ. Sie setzen auf konservative Semantik und einen intellektuellen Habitus, um im bürgerlich-konservativen Milieu überzeugen zu können. Doch, was Neurechte unter „konservativ“ verstehen, unterschiedet sich fundamental vom konservativen Denken, wie es sich seit 1945 in Deutschland herausgebildet hat. Dazu gehört die Akzeptanz der Demokratie, die Einbindung in Europa, vor allem aber, dass die konservativen Grundeinstellungen nicht ausgrenzend verstanden werden. Hinter dem Label „konservativ“ versteckt sich eine rechte menschen- und islamfeindliche Gesinnung. Rechte Christen sehen in der AfD die einzige Partei, die christliche Positionen vertrete. Sie bedient mit ihrer Ablehnung der Abtreibung, der Ehe für alle und dem Kampf gegen Gender und gegen die Islamisierung Themen, die für rechte Christen zentral sind. Diese Themen werden mit Ressentiments aufgeladen, überhöht und in Gegenposition zur modernen Gesellschaft und sogar den Kirchen positioniert. Das rechte Denken ist nicht lediglich eine verschärfte Form konservativen Denkens. Es ist ein Konservativismus, der Grundüberzeugungen der christlichen Ethik in der Substanz verändert und sich im Modus eines Kulturkampfes gegen die Moderne und insbesondere gegen den Islam positioniert.

  1. Zur Unvereinbarkeit von christlicher Ethik und völkischem Rechtsradikalismus

Die Verbrechen des Nationalsozialismus begründen eine besondere geschichtliche Verantwortung Deutschlands in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus. Auch die Kirchen verstehen sich in dieser Verantwortung. Sie haben ihre Irrungen und Verstrickungen mit dem NS-Regime aufgearbeitet, deshalb reagieren sie sensibel auf neurechte Tendenzen. Wie sollen Christinnen und Christenmenschen, wie sollen die Kirchen mit dem neuen Rechtsextremismus umgehen? Die Antwort kann nur lauten: Indem wir ihn aus unserer eigenen Tradition heraus, also aus der Mitte der biblischen Botschaft und der christlichen Ethik, mit denjenigen Kernbotschaften konfrontieren, die das Wesen des christlichen Glaubens und der christlichen Ethik ausmachen.

Die katholische Soziallehre und die evangelische Sozialethik haben Maßstäbe entwickelt, an denen sich messen lässt, wie es um die Christlichkeit der AfD bestellt ist:

  1. Menschenwürde

Rechtsextremistische Gesinnungen und Konzepte zielen fundamental auf Ab- und Ausgrenzung anderer Menschen. Die gleiche Würde aller Menschen wird entweder geleugnet oder relativiert und somit zu einem für das politische Handeln irrelevanten Konzept erklärt. Das berührt den Grundpfeiler der europäischen Kultur. Was unter der gleichen Menschenwürde zu verstehen ist, wurde nach Jürgen Habermas in besonderer Weise von der christlich-jüdischen Tradition geprägt:

„Das Christentum ist für das normative Selbstverständnis der Moderne nicht nur eine Vorläufergestalt oder ein Katalysator gewesen. Der egalitäre Universalismus, aus dem die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, von autonomer Lebensführung und Emanzipation, von individueller Gewissensmoral, Menschenrechten und Demokratie entsprungen sind, ist unmittelbar ein Erbe der jüdischen Gerechtigkeits- und christlichen Liebesethik. In der Substanz unverändert, ist dieses Erbe immer wieder kritisch angeeignet und neu interpretiert worden.“

Da das Christentum dafür gesorgt hat, dass jeder Mensch die gleiche Würde und deshalb auch die gleichen Rechte hat. gehört es nach Habermas zur Genealogie der Menschenrechte. Die Menschenrechte buchstabieren die Menschenwürde durch.

Die biblische Schöpfungserzählung bezeugt die Gottebenbildlichkeit für alle Menschen. Ihr Gehalt wird in säkularer Sprache in Artikel 1 des Grundgesetzes formuliert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Diese Formulierung ist die Absage an die Erfahrung im NS-Regime, in dem die Würde des Menschen antastbar war. Alle Menschen – unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Rasse, ihrer Nationalität oder Religion – haben in ihrer Gottebenbildlichkeit eine unverfügbare Menschenwürde und daraus abgeleitete Menschenrechte, die zu schützen und verteidigen staatliche Aufgabe ist.

Die EKD zieht in ihrem Synodenbeschluss unter dem Titel „Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und extremer Rechter“ von November 2023 eine klare Grenze:

„Menschen mit besonderen Förderbedarfen oder Menschen mit Behinderung gerichtete Menschenfeindlichkeit von amtierenden AfD-Politiker:innen. Völkisch-nationale Gesinnungen sowie demokratiefeindliche bzw. demokratiezersetzende Äußerungen und Verfahrensweisen weiter Teile der AfD stehen ebenfalls im Gegensatz zu zentralen christlichen Inhalten und sozialethischen Positionen der Evangelischen Kirche in Deutschland.“

Der frühere Ratsvorsitzende der EKD Bedford-Strohm sagt es so: „Wer sein eigenes Land oder seine eigene Volksgruppe überhöht und gegen die anderen in Stellung bringt, produziert Hass, irgendwann Gewalt und am Ende vielleicht sogar wieder unzählige Tote. Deswegen sage ich, Nationalismus ist eine Erscheinungsform von Sünde.“ Da alle die gleiche Würde haben, kann nicht zwischen nationalen oder völkischen Herkünften unterschieden werden. Die Bischöfe stellen deshalb in ihrer Erklärung unmissverständlich fest: Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar. Einsatz für Menschenwürde bedeutet auch, Solidarisierungen zwischen den Armen und Marginalisierten zu fördern, anstatt sie gegeneinander auszuspielen.

  1. Antisemitismus

Auch wenn die AfD klug genug ist, nicht offen antisemitische Positionen auszusprechen, finden sich in ihren Grundüberzeugungen aber klare antisemitische Versatzstücke. Die Amadeu Antonio Stiftung, eine Stiftung zur Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet, macht in neurechten Reden und Denken antisemitische Stereotypen aus. Die Rede vom „Großen Austausch“ (bzw. „Bevölkerungsaustausch“) ist ein solcher antisemitischer Verschwörungsmythos: Eine geheime, meist jüdische Elite wolle, so lautet der Mythos, die Deutschen mittels niedriger Geburten- und hoher Einwanderungsrate vernichten. Der damalige AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland thematisierte Mitte 2018 den „Bevölkerungsaustausch“. „Die Bundeskanzlerin – so Gauland – will vollendete Tatsachen schaffen, bevor sie abtritt. Sie will den Bevölkerungsaustausch unumkehrbar machen. Wir sollen als Volk und als Nation allmählich absterben.“ In der Rede von „Globalisten“ und einer „globalistischen Eliten“ wird stets eine zumeist jüdische Elite verantwortlich gemacht, einen Geheimplan zu verfolgen, um die Menschheit und das Weltgeschehen zu kontrollieren. Der „Bevölkerungsaustausch“ ist neben der Rede von den „globalistischen Eliten“ ein antisemitischer Verschwörungsmythos.

Der Chef der AfD in Thüringen, Björn Höcke, war wohl einer der ersten Parteifunktionäre, der offen seine antisemitische Haltung zur Shoah, zur millionenfachen Ermordung der europäischen Juden, ausgesprochen hat. In seiner Dresdner Rede vom 17. Januar 2017 bezeichnete er die Gedenkkultur in Berlin eine „dämliche Bewältigungspolitik“ und nannte das Berliner Shoah-Mahnmal ein „Denkmal der Schande“. Die „erinnerungspolitische Wende“ wurde schon 2016 im AfD-Grundsatzprogramm verankert. Dort heißt es: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“

Die katholischen Bischöfe stellen angesichts der massiven Zunahme der Angriffe und Übergriffe auf Jüdinnen und Juden in ihrer Erklärung vom 22. Februar 2024 fest: „Der Rechtspopulismus ist der schillernde Rand des Rechtsextremismus, von dem er ideologisch aufgeladen wird. In beiden Fällen wird stereotypen Ressentiments freie Bahn verschafft: gegen Geflüchtete und Migranten, gegen Muslime, gegen die vermeintliche Verschwörung der sogenannten globalen Eliten, immer stärker auch wieder gegen Jüdinnen und Juden.“ Die Bibel bezeugt, dass Gott sich das Volk Israelzu seinem „Augapfel“ (Sacharja 2,12) erwählt und mit ihm einen besonderen Bund geschlossen hat. Dieser Bund ist in Jesus Christus weder gekündigt noch aufgehoben. Das Judentum ist und bleibt die tragende Wurzel unseres christlichen Glaubens (vgl. Römer 11,17f). Die EKD-Synode hat deshalb 2023 unmissverständlich auf den Punkt gebracht: „Antisemitismus ist Gotteslästerung.“

  1. Recht auf Religionsfreiheit

Die AfD bekennt sich zwar zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, bestreitet jedoch das gleiche Recht aller auf Religionsausübungsfreiheit. Diese will sie gerade für Muslime stark ein-schränken. Diese religionspolitische Position steht widerspricht dem Grundrecht auf Religionsfreiheit. Von der AfD wird die Religionsfreiheit für gerade für die muslimische Minderheiten infrage gestellt. Die Kategorien deutsch und muslimisch schließen sich bei der AfD aus. Die extreme Rechte spaltet unter dem Vorwand der Religionskritik besonders am Islam die Gesellschaft. Der Islam wird mit starken islamfeindlichen wie auch antisemitischen Ressentiments belegt und erscheint als eine gefährliche und fremde Religion verstanden, die nicht dazu gehört.

Im Grundsatzprogramm der AfD heißt es: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“. Zwischen Islam und Islamismus wird nicht differenziert. Auf den Islam wird als religiös-politisches Herrschaftssystem Bezug genommen und er wird als Bedrohung der nationalen Identität und der „deutschen Leitkultur“ zurückgewiesen. Der Islam als Religion wird ignoriert.

Im Grundsatzprogramm der AfD heißt es:

„Die AfD bekennt sich uneingeschränkt zur Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Sie fordert jedoch, der Religionsausübung durch die staatlichen Gesetze, die Menschenrechte und unsere Werte Schranken zu setzen. Einer islamischen

Glaubenspraxis, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unsere Gesetze und gegen die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer

Kultur richtet, tritt die AfD klar entgegen.“

Die AfD erkennt das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht umfassend an: Sie will die Religionsfreiheit unter Gesetzesvorbehalt stellen. Die Freiheit der Religionsausübung unterliegt nach Art. 4 GG aber keinem Gesetzesvorbehalt, sondern findet seine Grenzen allein in den übrigen Grundrechten. Ein Staat, der Religionsausübung unter Gesetzesvorbehalt stellen würde, hätte seine Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität verletzt. Das aber bedeutet, dass die AfD die Religionsausübung als eine grundlegende Dimension der Religionsfreiheit negiert, indem sie den Islam unter Gesetzesvorbehalt stellen will. Formal wird zwar nicht jede „islamische Glaubenspraxis“ zurückgewiesen, sondern es werden Bedingungen genannt. Als Kriterium wird geltend gemacht, ob eine religiöse Praxis „gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ bzw. gegen „unsere Gesetze“ gerichtet ist und ob sie sich „gegen die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur“ richtet.

Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit eröffnet einen Freiheitsraum, wo jeder und jede nach eigenen Überzeugungen gleichberechtigt mit Anderen leben kann. Es ist keine Sonderrecht, das Fromme schützt, sondern ein Freiheitsrecht für alle. Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit schützt gerade religiöse Minderheiten.

Zusammenfassend möchte ich festhalten:

Der zentrale Unterschied zwischen einem legitimen konservativen Denken und dem rechten Denken in seiner populistischen Verschärfung ist der völkische Nationalismus und ein identitär verstandenes Christentum der Abgrenzung und der Kulturkämpfe. Im neurechten Denken wird das Christentum für eine völkisch-nationale Ideologie instrumentalisiert. Das Christentum wird zu einer „deutschen Leitkultur“ in Abgrenzung gegenüber dem Feindbild Islam. Rechtes Denken verleugnet und verletzt die wesentlichen Grundsätze, die das Christentum in anthropologischer und ethischer Perspektive ausmachen: die Gleichheit aller Menschen als Geschöpfe Gottes, ihre Gottebenbildlichkeit, die Verpflichtung gegenüber Bedürftigen, zu denen die Fremden gehören, und die bleibende Erwählung des Volkes Israel.

Gesellschaftliche und weltpolitische Herausforderungen wie die Globalisierung, der Klimawandel oder die Veränderung sozialer Realitäten im Bereich der Familie werden entweder geleugnet oder ihnen wird durch das leere Versprechen, zu einer angeblich besseren Vergangenheit zurückzukehren, begegnet. Die AfD hat kein positives Verständnis von Verantwortung, Gerechtigkeit und Solidarität in einer global vernetzten Welt. Die christliche Ethik steht in einem so klaren Widerspruch zu den Ideologien von der Ungleichwertigkeit der Menschen, dass dies kaum überbrückbar ist. Christliche Ethik und neurechtes Denken, wie es in der AfD eine parlamentarische und parteipolitische Struktur gefunden hat, sind unvereinbar.

  1. Praktische Folgerungen

Welche Konsequenzen sind aus dieser ethischen Beurteilung zu ziehen? Ich möchte abschließend nur einige aufführen:

  1. Da christliche Ethik mit neurechten Positionen, wie sie in der AfD vertreten werden, nicht vereinbar sind, kann die AfD für Christinnen und Christen auch kein Ort ihrer politischen Betätigung sein und ist für sie auch nicht wählbar.
  2. Der Widerspruch und Widerstand der Kirchen in ihren Erklärungen muss Ausdruck in der Beteiligung an öffentlichen Demonstrationen und in der Beteiligung an lokalen Aktionsbündnissen finden.
  3. Die Auseinandersetzung mit der AfD ist für die Kirchen kein Streit mit fernen, fremden Gegnern. Sie ist auch eine Auseinandersetzung mit eigenen Kirchenmitgliedern. Ein klares Votum gegen jede Form des Rechtsextremismus bedeutet aber nicht, sich dem Dialog mit gesprächsbereiten Menschen zu verweigern.
  4. Wer Rassismus, einen völkischen Nationalismus oder Antisemitismus das Wort rede, hat in einem kirchlichen Amt nichts zu suchen. Es gibt einen klaren Unvereinbarkeitsbeschluss, wie man ihn sich auch für Gewerkschaften und andere Organisationen wünschen würde. Auch für die evangelisch Kirche gilt Vergleichbares. Im Saarland läuft bereits ein erstes Verfahren gegen den Vorsitzenden des kirchlichen Verwaltungsrates in Neunkirchen, der auch Mitglied der AfD-Fraktion im Landtag ist.

Es handelt sich beim Widerstand gegen Rechts nicht um eine Sache, die für die Kirchen nebensächlich sein könnte. Es geht radikal um das Kirchesein der Kirche. Denn Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bestreiten den Kern der christlichen Botschaft: Alle Menschen sind als Gottes Ebenbilder in gleicher Würde von Gott geschaffen. Kirchesein im Rechtspopulismus bedeutet deshalb, Widerstand zu leisten, wenn der Kern bedroht ist: die Menschenwürde, die Menschenrechte und die demokratische Gesellschaft.

1 Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) in Deutschland hat sich bereits 2015 vom haupt- verantwortlichen Prediger dieser „Evangelischen Freikirche Riedlingen“ distanziert. Seit Ende 2018 ist die „Evangelische Freikirche Riedlingen“ auch nicht mehr Mitglied des Bundes.